Dokumentationsstätte KZ Hersbruck
HäftlingsschicksaleHäftlingsschicksale
LETIC, Ljubisa
Geb. 10. August 1925 in Lok/Serbien
Gest. 6. Juni 2014 in Novi Sad/Serbien
„[…] [N]ur wir Betroffenen wissen, durch welche Hölle wir gegangen sind.“
Zeitstrahl
Erste Lebensphase 1925-1943
Ljubisa Letic wurde am 10.August 1925 in Lok (bei Novi Sad in Serbien) als einziger Sohn einer Bauernfamilie geboren.
1941 besetzten ungarische Faschisten das Gebiet, in dem Letic und seine Familie wohnen. Diese verschleppten und ermordeten Letics Vater Anfang 1942.
Zweite Lebensphase 1944-1945 – Verhaftung und KZ Flossenbürg
Am 2. August 1944 wurde Ljubisa Letic im Alter von 19 Jahren von den ungarischen Faschis-ten verhaftet. Der Grund dafür war wahrscheinlich die fehlende Bereitschaft zu einer Kollabo-ration mit den Faschisten. Letic wurde als politischer Häftling in verschiedene Lager in Ungarn verlegt. Im Herbst 1944 kam er in die alte Festung in Komarom an der Donau.
Am 2. November sollten die Gefangenen nach Deutschland in verschiedene KZs gebracht werden.
„[…] [A]lle 1500 Gefangenen, Frauen und Männer, [wurden in Viehwaggons] aus Kamarom abtransportiert. Viele kamen nach Auschwitz, andere nach Dachau, Frauen nach Ravensbrück und ich nach Flossenbürg.“
Am 5. November erreichte der Transport das Lager Flossenbürg. Die Häftlinge aus Ungarn und Serbien blieben dort vier Wochen in Quarantäne.
„In Flossenbürg mussten wir nicht arbeiten, wir standen nur jeden Tag 2-3 Stunden am Appellplatz, bis das Zählen vorbei war. Danach durften wir wieder die Baracken betreten.“
Zweite Lebensphase 1944-1945 – Konzentrationsaußenlager Hersbruck
„Am 3. Dezember 1944 wurden wir ohne vorherige Ankündigung vom Hauptlager Flossenbürg ins Außenlager Hersbruck verlegt.“
Letic empfand das Lager als riesig. Es bestand aus 20 Baracken und war 7,7 ha groß. Täglich wurden Lagerinsassen für schwere körperliche Arbeit ausgesucht. Letic kam für ca. einen Monat zum Arbeiten an den sogenannten Pommelsbrunner Hafen und musste dort mit ca.100 weiteren Männern auf unebenem Gelände Schlamm und Erde verteilen.
Wir wurden dauernd [von den Kapos] geschlagen, in den Schlamm gestoßen und malträtiert. Auch die SS-Leute schlossen sich gelegentlich diesen Gewaltorgien an. Da sie noch mehr Kom-petenzen besaßen, durften sie uns sogar auf der Stelle erschießen. Für sie waren wir keine menschlichen Wesen, sondern nur Gesindel.
Zu dieser Zeit regnete und schneite es, jedoch konnten die Häftlinge ihre nassen Klamotten nach der Arbeit nicht trocknen, da es hierfür zu kalt war. Alle waren entkräftet, Ersatzkleidung gab es keine und sie mussten sich zum Schlafen nass auf die verlausten Holzpritschen legen.
Ein polnischer Kapo half ihm in den Stollenbau nach Happurg versetzt zu werden,
„[er] nannte mich nur ‚Kleiner‘, weil ich so schwach und unterernährt war und er wahrscheinlich Mitleid mit mir hatte.“
Die Arbeit im Doggerstollen war ebenfalls schwer, jedoch war es nicht so kalt wie im Pommelsbrunner Hafen. Nach einigen Tagen musste Letic zwei deutschen Meistern beim Bohren von Löchern in das Gestein helfen. In diesen wurden Dynamitstangen zur Sprengung geschoben. Jeden Tag mussten innerhalb von acht Stunden 70-80 Löcher von zwei Metern Länge gebohrt werden. Der Presslufthammer wog ca. 20 kg und hatte einen zwei Meter langen Bohrer, welchen Letic auf seine Schultern legen musste. Noch dazu gab es keine Ohrenschützer. Die Folgen waren, dass er größtenteils sein Gehör verlor.
Ich betete, dass mir der liebe Gott helfen möge, diese täglichen Tortouren zu überleben. Was hatte ich bloß mit meinen 19 Lebensjahren verbrochen, dass ich so grausam unter die Räder des faschistischen Regimes gekommen war. Aber es machte keinen Sinn, mit dem Schicksal zu hadern.
Die SS-Aufseher machten den Häftlingen klar, dass diese nur noch so lange Leben würden, wie sie arbeiten können, danach würden sie erschossen werden. Man ging davon aus, dass man sein Leben in diesem KZ-Außenlager lassen würde. „Da gab es immer den gleichen Spruch: ‚Alles Krematorium‘.“
Letic lebte zusammen mit ca. fünfzehn Russen in einer Baracke. Diese brachten jeden Abend einen Kessel mit Kartoffeln aus einer anderen Baracke mit. Letic bekam immer zwei bis drei Kartoffeln ab, was er als „lebenswichtige Freundlichkeit“ bezeichnete.
Weil es im Lager keine Ersatzkleidung gab und sehr selten gebadet wurde, herrschten in der Baracke katastrophale hygienische Zustände. Die Menge der Läuse und Flöhe ging in die Millionen. In der Freizeit versuchten wir diese mit den Fingern von unseren Körpern zu entfernen, aber das half kaum.
Als Letic nach drei Monaten Arbeit mit dem Presslufthammer zusammenbrach, hatte er Glück im Unglück. Er bekam daraufhin keine Konsequenzen zu spüren. Ein besser gestellter Häftling aus der Tschechoslowakei, der als Sprengmeister arbeitete, hatte die Situation beobachtet und ließ er Letic als seinen Assistenten einstellen.
Letic bekam nach einiger Zeit Diphterie und wurde in die Krankenstation verlegt. Dort ging es ihn nach sieben Tagen wieder besser. Er wurde danach zu leichterer Arbeit in die Küche geschickt. Da ihn die polnischen Mithäftlinge schlecht behandelten, kehrte er zu seinem tschechischen Sprengmeister zurück.
Gegen Ende des Kriegs gab es kaum noch etwas zu essen im Lager. „Es war schrecklich zu beobachten, wie wir uns wie die wilden Tiere auf jedes Stück Brot stürzten und rauften.
[…] In solchen Situationen hört der Mensch auf, Mensch zu sein.“
Zweite Lebensphase 1944-1945 – Todesmarsch Richtung Dachau
Anfang April wurde das Lager evakuiert. Die Häftlinge, die nicht zu schwach zum Laufen war, mussten zu Fuß Richtung Dachau marschieren. Es gab kein Essen, „[w]ir aßen Gras, und als Fleisch gab es glitschige Schnecken
[…]. Sie schmeckten ekelhaft, aber wir mussten es tun, um einigermaßen bei Kräften zu bleiben.“
Viele waren bald zu schwach zum Laufen. Wenn sie nicht weiterkonnten, wurden sie erschossen. In Schmidmühlen blieb die Kolonne 14 Tage. Dort starben noch etliche Häftlinge an Entkräftung. Letic beerdigte zwei seiner Kameraden. Am Ende kam eine Panzerkolonne der Amerikaner nach Schmidmühlen.
Es entstand eine ungewöhnliche Situation, als die SS-Aufseher einer nach dem anderen die Hände hochhoben und den Amerikanern ihre Waffe übergaben. […] Ich stand da wie ein leben-des Knochengestell in meiner Sträflingsuniform mit der Nummer 36313 […]. Nach einigen Sekunden schossen mir die Tränen aus den Augen. […] [Ich] stieß […] einen Schrei aus, weil ich diese grässliche Zeit doch überlebt hatte.
Dritte Lebensphase 1945-2014
Nachdem die Amerikaner in Schmidmühlen einmarschiert waren, wurden Letic und seine Ka-meraden von Rotkreuzlastwagen abgeholt und in Baracken gebracht. Dort konnten sie am nächsten Tag duschen, bevor sie in einem sauberen Gebäude in einer anderen Ortschaft un-tergebracht wurden. Dort konnten sie sich wieder frei bewegen:
es „[…] war ein sonderbares Gefühl“.
Nach einigen Tagen in dieser Unterkunft wurden sie in Baracken in einem Wald umgesiedelt. Dort brach Flecktyphus aus. Auch Letic erkrankte daran.
Was die Amerikaner nach der Befreiung für uns taten, hätte keine andere Nation der Welt getan. Sie retteten Leben und zeigten dabei so viel Menschlichkeit und Mitgefühl, dass wir das nach unseren KZ-Erfahrungen kaum glauben konnten. Sie brachten uns lebende Skelette aus den Todeslagern ins Leben zurück.
In einem weiteren Lager lernte er einen amerikanischen Kommandanten kennen, der serbisch sprach. Dieser bot Letic an, in die amerikanische Armee einzutreten. „Ich lehnte ab, weil ich einfach nur nach Hause wollte, denn meine Familie hatte seit August 1944 von mir nichts mehr gehört.“ Nach einem kurzen Aufenthalt in einem Lager bei Regensburg, kam Letic für zehn Tage in ein Lager nach München.
Nach dieser Zeit in München brachte man Letic und alle anderen Jugoslawen wieder zurück in die Heimat. „Wir bekamen Reisedokumente in Form eines Stückes Papier mit einem Stempel und mit der Zielortangabe. Ich gab als Endstation Novi Sad an.“24 Nach einer langen Zugreise erreichte er im Sommer 1945 Novi Sad. Letic ging zum Haus seines Onkels und seiner Tante. Diese brachen in Freudentränen aus und konnten nicht glauben, dass er noch am Leben war. Am nächsten Tag fuhr er weiter nach Lok, seinen Heimatort.
„Am Bahnhof von Lok erwartete mich fast der ganze Ort. Die Menschen weinten und küssten mich vor Freude, dass ich aus dem Todeslager doch zurückgekommen war“.
Letic lebte noch einige Jahre in Lok, bis er 1954 heiratete. Seine Frau brachte einen Sohn mit in die Ehe. Die Familie zog nach Novi Sad. Sie bekamen einen gemeinsamen Sohn.
In Novi Sad arbeitete Letic als LKW-Fahrer für das Rote Kreuz, bis er 1990 in Rente ging. 2008 starb seine Frau. Seitdem lebte er in Novi Sad bei der Familie einer seiner Söhne.
Mit zunehmendem Alter beschäftigte sich Letic mit den schrecklichen Ereignissen aus seiner Vergangenheit. Er kam in Kontakt mit der Gedenkstätte Flossenbürg und nahm regel-mäßig an den dortigen Treffen der ehemaligen Häftlinge teil. An einem dieser Treffen, im Jahr 2007, lernte Letic den damaligen Vorsitzenden des Vereins Dokumentationsstätte KZ Hersbruck e.V., Peter Schön, kennen. Im Jahr 2010 kam Letic zu Besuch nach Hersbruck. Bei dieser Begegnung wurde ein Film über ihn gedreht, welcher im serbischen Fernsehen gezeigt wurde.
Letic sei
„[…] dankbar, dass sich in Hersbruck, wie auch andernorts Menschen darum bemühen, dass diese grauenhaften Verbrechen nicht in Vergessenheit geraten“.
Am 06. Juni 2014 stirbt Ljubisa Letic in Novi Sad.
Quellen- und Literaturverzeichnis CAILLÉ; Roger
Primärliteratur
Letic, Ljubisa: Überlebender der Lager Flossenbürg und Hersbruck. Ein Zeitzeugenbericht. Hg.: Dokumentationsstätte KZ Hersbruck e.V. Hersbruck: 2012.
Sekundärliteratur
Schön, Peter: Häftlingsbuch. KZ Hersbruck. Hg. v. Dokumentationsstätte KZ Hersbruck e.V. Hersbruck: 2019.
Internetquellen
Dokumentationsstätte Konzentrationslager Hersbruck e.V.: Geschichtliches. KZ Hersbruck. Die Opfer. Ljubisa Letic.
URL: https://www.kz-hersbruck-info.de/die-opfer/ljubisa-letic/ [03.03.2022].
Bildquellen
Archiv Dokumentationsstätte Konzentrationslager Hersbruck e.V. Häftlingsschicksale. Letic, Ljubisa.