Der ehemalige KZ-Häftling Ljubisa Letic über seinen Besuch in Hersbruck (2013)
Er hat Tränen in den Augen, als er vom herzlichen Empfang bei der Gedenkfeier in Flossenbürg berichtet. Es ist einer der Momente, in denen dem Gegenüber – wenn auch nur ansatzweise -klar wird, was dieser sonst so stark wirkende Mann durchgemacht haben muss. Der ehemalige KZ-Insasse Ljubisa Letic hat es der großen Anstrengung zum Trotz mit seinen 88 Jahren noch einmal zu einer Reise zurück an den Ort seines Leidens geschafft. Vielleicht ist es seine letzte. Deshalb hat Letic eine für ihn wichtige Botschaft mitgebracht.
Der schmächtige Serbe macht trotz seiner altersbedingten Gebrechen einen agilen Eindruck. Wild gestikulierend blickt er beim Gespräch in der HZ-Redaktion abwechselnd aufmerksam von Dolmetscher Bosiljko Markovic zur Interviewpartnerin am Stuhl gegenüber.
Er sei ganz begeistert von den Fragen und Beiträgen der deutschen und serbischen Schüler, wenn er zum Gespräch geladen sei. Dass sich Jugendliche so für seine schrecklichen Erlebnisse im KZ Hersbruck interessieren, gefällt ihm. „Darüber zu sprechen fällt mir nicht schwer“, erklärt der 88-Jährige. Erst als es um die Herzlichkeit der Menschen und das Wiedersehen mit Leidensgenossen bei der diesjährigen Gedenkfeier im ehemaligen KZ Flossenbürg geht, ist Letic den Tränen nahe. Im vergangenen Jahr hatte er die Feier wegen eines Krankenhausaufenthaltes verpasst. „Ich war sehr gerührt, wie nett ich empfangen wurde“, sagt er nach dem beeindruckenden Erlebnis am vergangenen Sonntag.
Von seiner Leidensgeschichte, der ersten Unterbringung in Flossenbürg, dann in Hersbruck mit Zwangsarbeit in Pommelsbrunn und an den Happurger Doggerstollen, erzählt Letic an diesem Nachmittag nur wenig. Schließlich hat er seine Geschichte schon zigmal geschildert und einen Zeitzeugenbericht verfasst. Ein paar Dinge, die ihm lebhaft in Erinnerung geblieben sind, lässt er sich dann aber doch entlocken: Dass er noch ein paar Brocken Deutsch könne, erzählt er nicht ohne Stolz und rasselt mit serbischem Akzent ein paar Kommandos der SS-Wachleute herunter, bei denen es wahrscheinlich nicht nur der Redakteurin im Raum die Nackenhaare aufstellt: „Los, los, schneller“ und „das ist gut!“, ruft Ljubisa Letic vermischt mit ein paar serbischen Brocken. „Das war Psychoterror“, übersetzt der Dolmetscher.
Beim diesjährigen Besuch standen auch wieder die Happurger Doggerstollen, wo er als 19-Jähriger schuften musste, auf dem Programm. Von außen sehe alles aus wie immer, sagt der heute 88-Jährige und äußert sich in diesem Zusammenhang auch zur Streitfrage um die Öffnung der ehemals geplanten BMW-Motorenfabrik: Er wäre sehr für eine Öffnung der Stollen, „das ist ja ein Teil meiner Geschichte“, so Letic. Die Idee von der geplanten Happurger Gedenkstätte (HZ berichtete), die er im HZ-Gespräch zum ersten Mal zu hören bekommt, hält er für „großartig“. Für die Besucher sei es allerdings wesentlich interessanter, auch einmal in die kilometerlangen Stollen klettern zu können. Eine Stollen-Nachbildung, wie sie die Gedenkstättenstiftung in Happurg plant, sei aber „besser als gar nichts“. Eigentlich hätte er gerne auch noch dem oberpfälzischen Schmidmühlen einen Besuch abgestattet. Ein Ort, der sich ihm stark eingeprägt hat. Dort vermutete er bis vor Kurzem die sterblichen Überreste zweier befreundeter Kameraden, die er kurz vor der Befreiung durch die Amerikaner dort verloren hatte. Der Italiener und der Serbe hatten ihm auf dem Todesmarsch Richtung Dachau das Leben gerettet, indem sie ihn zwangen, Schnecken vom Wegesrand zu essen. „Das fiel mir unglaublich schwer, aber ich bin ihnen unendlich dankbar“, sagt Letic. Die Tatsache, dass die beiden noch immer bei Schmidmühlen verscharrt sein könnten, ließ ihm die letzten Jahre keine Ruhe. Jetzt stellte sich heraus, dass die Gräber der beiden schon 1953 nach Flossenbürg verlegt wurden. „Damit ist das Thema für mich abgeschlossen“. Letic hegt heute keinen Groll gegenüber den SS-Leuten: „Sie mussten das ja machen“, antwortet er trocken auf die ihm wohl schon tausendfach gestellte Frage. Selbst in der skurrilen Situation, als die Nazis bei der Befreiung durch die Alliierten ihre Waffen zu Boden werfen mussten, sei er nicht auf die Idee gekommen, eine davon auch nur anzurühren. Zu seinem Hersbruck-Besuch ist er diesmal mit einer Friedensbotschaft gekommen: „Die jungen Leute sollen diskutieren, verreisen und feststellen, dass auch andere Nationen so sind wie sie“, appelliert der 88-Jährige mit erhobenem Zeigefinger. Sein größter Wunsch ist so banal wie verständlich: „Nie wieder Krieg“.
MELANIE STRAUB